26 Juni 2025
Ein Kulturdenkmal wird fit gemacht
Ein Kulturdenkmal wird fit gemacht
Gütesicherung zwischen Denkmalschutz und Funktionalität
In gut zwei Jahren feiert die baden-württembergische Stadt Esslingen am Neckar ihren 1250. Geburtstag. Pünktlich zu den Feierlichkeiten soll die geplante Neugestaltung des Marktplatzes abgeschlossen sein. Bevor die bauliche Umgestaltung jedoch beginnen kann, wird der denkmalgeschützte Abschnitt des Geiselbachkanals unterhalb des Marktplatzes saniert. Dabei mussten alle Beteiligten den Balanceakt zwischen Erhalt des historischen Kanals, dessen Anfänge teilweise bis in das 12. Jahrhundert zurückreichen, und den heutigen Maßstäben an die Funktionsfähigkeit eines Mischwassersammlers meistern. Umso wichtiger war hier der Gütesicherungsgedanke bei der Ausführung der Sanierungsarbeiten.
Denkmalschutz trifft auf moderne Sanierungstechnik
Gesäumt von mittelalterlichen Fachwerkhäusern, die zu den ältesten in Deutschland gehören, liegt der zentrale Marktplatz. Nur wenige Meter darunter verläuft der geschichtsträchtige Geiselbachkanal. Die erste Befestigung und Überwölbung des natürlichen Bauchlaufes mit Sandsteinen begannen bereits im 12. Jahrhundert. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Verdolung des Kanals weiter vorangetrieben. Einige Bereiche unterhalb des Marktplatzes gehen auf das 14. und 15. Jahrhundert zurück, während kleinere Teilstücke oder Reparaturstellen auch aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen. Bis heute ist er ein wichtiger Mischwassersammler für Esslingen. „Die Überdeckung des Kanals ist im Bereich des Marktplatzes gering. Ziel der Sanierung ist es daher, den Kanalabschnitt von innen nachhaltig so zu stabilisieren, dass die für 2026 geplante Oberflächenerneuerung des Platzes ausgeführt werden kann“, erläutert Dipl.-Ing. (FH) Daniel Weiss, Tiefbauamt Stadt Esslingen, Abteilungsleiter Kanalisation, die Ausgangssituation. Dabei sei bei den Planungen stets herausfordernd gewesen, dass der Geiselbachkanal gemäß Denkmalschutzgesetz als Kulturdenkmal geschützt ist, wie Projektleiter Florian Velle, M.Eng., vom Ingenieurbüro ISAS GmbH, Füssen, ergänzt: „Als Sanierungsverfahren kamen daher nur Verfahren in Betracht, die die historische Struktur erhalten und gleichzeitig die Substanz des Kanals verbessern. Das heißt, die Sandsteine dürfen durch die verwendeten Materialien oder Verfahren in ihrer Substanz nicht angegriffen werden.“ Das bedeutet einen regelrechten Spagat zwischen der Funktionsfähigkeit nach heutigen Maßstäben und den Denkmalschutzanforderungen.
Fugensanierung und Mikroinjektion zur Stabilisierung des Kanals
Der zu sanierende Bereich des Geiselbachkanals mit einer Länge von 158 m unter dem Marktplatz besteht aus stark variierenden Hauben-Sonderprofilen mit Breiten zwischen 1,70 m und 9,10 m und Höhen von 1,85 m bis 5,05 m aus Natur- bzw. Bruchsteinmauerwerk. Die Sohle mit seitlichen Auftritten und einer Trockenwetter-Rinne, beides aus Beton, ist neueren Datums.
Auf einer Länge von rund 85 Metern ist eine flächige, statische Fugensanierung des historischen Natursteinmauerwerks von innen durchzuführen. Hierfür werden die Fugen zunächst bis auf eine definierte Tiefe ausgeräumt und in Abstimmung mit dem Denkmalamt als Schattenfuge neu verfugt. Hierdurch soll der Charakter der Natursteine erhalten bleiben. Die neuen Fugen stellen nicht nur die Kraftübertragung zwischen den Steinen wieder her, sondern dienen nach Aushärtung auch als Widerlager für die anschließende Mikroinjektion des Mauerwerks. Dabei ist das Injektionsmaterial so eingestellt, dass es sich in den Hohlräumen innerhalb des Mauerwerkes verteilt und sie verfüllt. Auf diese Weise wird der Kanal statisch ertüchtigt. Zusätzlich zu der Fugensanierung und den Injektionsarbeiten werden auf einem rund 31 Meter langen Abschnitt die Kämpferbereiche, die vermutlich im 19. Jahrhundert mit Beton bereits einmal saniert wurden, sowohl maschinell im Nassspritzverfahren als auch von Hand mineralisch neu beschichtet.
Trass bringt die Lösung
Für die Auswahl der geeigneten Materialien, die zum einen den Naturstein erhalten und zum anderen auch kanalatmosphärentauglich sind, wurden zunächst Musterflächen mit vier normalen Zementmörteln angelegt und anschließend Bohrkerne zur näheren Untersuchung und Prüfung nach Nürnberg zur LGA (Landesgewerbeanstalt Bayern) geschickt. Die Ergebnisse flossen in die produktneutrale Ausschreibung für die Sanierung ein. Im Rahmen der konkreten Materialauswahl wurden im Nachgang auch weitere Produkte, wie zum Beispiel auf Grundlage von Trass (gemahlenes Vulkangestein), durch das LGA untersucht. „Trasszementmörtel hat weniger Poren als ein normaler Zementmörtel und ist dichter. Zusätzlich härtet er im Vergleich langsamer aus, wodurch weniger Spannungsrisse entstehen. Er ist damit im Gegensatz zu normalem Portlandzement nahezu wasserdicht. Bei dem von uns vorgeschlagenen Produkt handelt es sich um einen Mörtel, der auch als ‚Antik-Mörtel‘ bezeichnet wird und auch die Anforderungen hinsichtlich der Sulfatbeständigkeit XWW3 erfüllt. Er verfügt zudem über einen geringeren Zementanteil als normale, klassische, Zementmörtel,“ erklärt Dipl.-Ing. Volker Schmidt, Geschäftsführer SMG Bautenschutztechnik für Hoch- und Tiefbau GmbH, Lage, der mit seinem Unternehmen die Sanierungsarbeiten in Esslingen ausführt.
Neben einer guten Verarbeitbarkeit verträgt sich der Mörtel wegen des geringen Zementanteils hervorragend mit dem Sand-Naturstein, wie die Untersuchungen des LGA zeigten. Generell ist Trasszementmörtel sehr gut verträglich mit Salzen, die im Sandstein enthalten sein können. Aufgrund der Zusammensetzung mit Trass (vulkanisches Material) hat er einen hohen Kalkanteil und ist daher weniger anfällig für Ausblühungen und Schäden durch Salze. Das gleiche gilt auch für das Injektionsmaterial, welches ebenfalls auf Trassbasis hergestellt ist. Es lässt sich in verschiedenen Flüssigkeitsstufen mit 20 bis 60 %-Wasseranteil für die Mikroinjektion einstellen. So kann es sich mit wenig Druck optimal im Natursteinmauerwerk verteilen und die Hohlräume verfüllen.
Fachkompetenz im Fokus
Neben der Materialauswahl war die Suche nach einem geeigneten Unternehmen ein zentraler Punkt des Projektes. „Bei Regenwetter fließen bis zu zehn Kubikmeter pro Sekunde durch den Geiselbachkanal. Und da der Kanal während der Sanierung in Betrieb bleiben muss, war uns schnell klar, dass wir ein ausführendes Unternehmen benötigen, welches Erfahrung in der Kanalsanierung hat und gleichzeitig die Arbeiten, wie sie mit dem Denkmalamt abgestimmt waren, fachmännisch und fachgerecht ausführen kann“, so Weiss. „Daher haben wir in der Ausschreibung für händische Beschichtung, Injektion und Fugensanierung die Eignung auf Grundlage der Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 gefordert“, fügt Velle hinzu. Ein Punkt, den Dipl.-Ing. Guido Heidbrink, Güteschutz Kanalbau, positiv sieht. Der speziell in Kanalsanierungstechniken erfahrene Prüfingenieur ist davon überzeugt, dass erfolgreich durchgeführte Arbeiten an der Kanalinfrastruktur ohne den Faktor Qualität nicht auskommen und letztendlich immer das Ergebnis eines guten Zusammenspiels aller an Planung, Ausschreibung und der Bauausführung Beteiligten sind. Unter diesen Gesichtspunkten passte bei diesem Projekt alles zusammen. Heidbrink: „Im Rahmen von regulären Baustellenprüfungen konnten auf dieser Maßnahme direkt vier Gütezeichen geprüft werden: S42.1 (Maschinelle Beschichtung), S42.2 (Händische Beschichtung), S42.3 (Injektion) sowie S42.4 (Fugensanierung). Das Unternehmen konnte das Einhalten der Eignungsanforderungen RAL-GZ 961 in den vorgenannten Ausführungsbereichen in sämtlichen Bereichen nachweisen.“ Jedoch stellten die Prüfungen der Injektion und der Fugensanierung auch den Güteschutz Kanalbau vor besondere Herausforderungen, wie Heidbrink weiter ausführt: „Wir prüfen auf den Baustellen unter anderem auch, ob zu den verwendeten Materialien die im Regelwerk geforderten Eignungsnachweise existieren. Hierbei steht die Konformität mit den einschlägigen Regelwerken im Vordergrund. In diesen Regelwerken sind jedoch größtenteils die „gängigsten“ Zementmörtel definiert, sodass die Materialeigenschaften von Sonderprodukten mit denen der Zementmörtel vergleichbar sein müssen. Die Tatsache, dass im Vorhinein entsprechende Untersuchungen vom LGA durchgeführt wurden, war auch für den Güteschutz Kanalbau in dieser Sache sehr förderlich!“
Kleinod der Geschichte
Bis Oktober 2025 sollen die Arbeiten unterhalb des Marktplatzes abgeschlossen sein. Was allen Beteiligten nach Fertigstellung der Sanierung im Gedächtnis bleiben wird, ist die Einmaligkeit des Bauwerkes. Schmidt: „Ich bin seit über 35 Jahren in der Kanalsanierung tätig und wir haben schon viele alte Mauerwerkskanäle aus dem 18. Jahrhundert saniert. Aber so ein altes, geschichtsträchtiges Bauwerk wie der Geiselbachkanal haben wir noch nie saniert. Das ist schon eine Besonderheit.“ Da sind zum Beispiel die von Hand gehauenen Sandsteine, die die Steinmetze mit ihren persönlichen Zeichen gekennzeichnet haben. Oder auch eine alte Brückenkonstruktion, in der noch Holzornamente zu sehen sind. Die Schäden eines Brandes in einer Küferei sind heute noch erkennbar. Die Natursteine sind in diesem Bereich von der Hitze aufgeplatzt. Alle diese kleinen Kennzeichen lassen die Geschichte des historischen Esslingen erahnen. Schmidt bringt es abschließend auf den Punkt: „Den Kanal haben unsere mittelalterlichen Vorfahren geschaffen. Und obwohl die Baumethoden damals ganz anders waren als heute, ist die Funktion immer noch erhalten. Dieses architektonische Erbe zu bewahren, ist erstrebenswert und etwas ganz Einzigartiges.“