31 Juli 2025
Vom Personalmangel zur Prozessoptimierung
Vom Personalmangel zur Prozessoptimierung
23. Deutscher Schlauchlinertag und 14. Deutscher Reparaturtag
Wie lässt sich der steigende Sanierungsbedarf an unterirdischen Infrastrukturen bewältigen, wenn gleichzeitig immer weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen? Die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre lautet: Mehr Kanalsanierung mit weniger Personal – aber ohne Abstriche bei Qualität, Sicherheit oder Effizienz. Im Mittelpunkt stehen dabei Aspekte einer strukturierten Prozessoptimierung sowie von Automatisierung und Digitalisierung, aber auch eines gezielten Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI).
Diese und viele weitere Themen diskutiert die Branche beim 23. Deutschen Schlauchlinertag und dem 14. Deutschen Reparaturtag am 16. und 17. September 2025 in Fulda. Die beiden Veranstaltungen bieten eine innovationsorientierte Plattform für Fachvorträge, Praxisberichte und Diskussionen – wie immer mit besonderem Fokus auf eine strukturelle und technologische Weiterentwicklung in der Kanalsanierung.
Mehr Aufgaben, weniger Personal
Die Abwasserbranche steht vor einer Zäsur. In der kommenden Zeit scheidet ein beträchtlicher Teil der aktuell tätigen Beschäftigten altersbedingt aus dem Berufsleben aus – betroffen sind insbesondere die sogenannten „Babyboomer“-Jahrgänge, die derzeit noch einen erheblichen Anteil des qualifizierten Personals stellen. Diese Entwicklung betrifft operative Fachkräfte auf den Baustellen genauso wie Ingenieurbüros oder Netzbetreiber.
Parallel dazu steigt der Sanierungsbedarf im Bereich der unterirdischen Infrastrukturen. Viele Kanalsysteme in Deutschland erreichen oder überschreiten ihre technische Nutzungsdauer. Diverse Schadensbilder machen eine systematische Sanierung dringend erforderlich. „Diesem Spannungsfeld zwischen sinkenden personellen Ressourcen und einem steigenden Sanierungsdruck lässt sich nur durch eine grundlegende Optimierung der Planungs- und Bauprozesse sowie durch einen gezielten Einsatz neuer Technologien – hierzu zählen Automatisierung und KI – begegnen. Der klassische Weg – mehr Aufgaben durch mehr Personal zu bewältigen – ist in der aktuellen Situation nicht mehr realisierbar“, betont Dipl.-Ing. Michael Hippe, Vorstandsvorsitzender des Verbandes zertifizierter Sanierungs-Berater für Entwässerungssysteme e. V. (VSB). „Im Wesentlichen sind hier fünf zentrale Handlungsfelder zu identifizieren, die sowohl technische als auch organisatorische Stellschrauben bieten, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Branche zu erhalten.“
1. Öffentliche Vergabepraxis überdenken
Die öffentliche Hand steht bei der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen vor einer Grundsatzfrage: Zählt nur das günstigste Angebot oder das wirtschaftlichste im Sinne von Qualität, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit? Aktuell setzen Kommunen zumeist auf das günstigste Angebot – mit oft kostspieligen Folgen. Fehlende Qualitätskriterien führen zu instabilen Projekten, Nachbesserungen und hohem Koordinationsaufwand. „In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich nun ein Umdenken ab. Hier sollen die Vergaben im Unterschwellenbereich frei gegeben werden. Dies könnte mehr Spielraum für qualitative Aspekte schaffen“, betont Hippe.
2. Auf die Verträge kommt es an
Ein weiterer relevanter Punkt betrifft die Ausgestaltung vertraglicher Strukturen im Rahmen von Sanierungsprojekten. Der klassische Einheitspreisvertrag führt vielerorts dazu, dass Projektleiter häufiger mit Abrechnungs- und Nachtragsthemen beschäftigt sind als mit einer qualitätsorientierten Projektbetreuung. Um hier einen Paradigmenwechsel einzuleiten, wären Jahresverträge oder Projektverträge zielführender, die sich an dem tatsächlichen Arbeitsaufwand orientieren und Nachtragsdiskussionen reduzieren. „Auch eine Integrierte Projektabwicklung (IPA) oder das Allianzmodell zahlen darauf ein, alle relevanten Akteure frühzeitig in ein Bauprojekt einzubinden, um den Koordinationsaufwand zu reduzieren, Schnittstellenkonflikte zu vermeiden und die Effizienz des Gesamtprozesses zu verbessern“, beschreibt Hippe eine weitere Stellschraube der Optimierung.
3. Bauüberwachung: Digitalisierung und Automatisierung als Entlastung
Bei der Kanalsanierung ist die Qualitätssicherung auf der Baustelle von zentraler Bedeutung. Der Vorfertigungsgrad ist zumeist gering. Viele Arbeitsschritte erfolgen in situ auf der Baustelle. Entsprechend hoch ist der Aufwand für Überwachung und Dokumentation. Auch hier gibt es enormes Potenzial zur Reduktion des Personalbedarfs durch technologische Innovationen. Hierzu zählt eine automatisierte Überwachung kritischer Prozessparameter – etwa der Außentemperatur von Schlauchlinern. Diese lassen sich ohne großen Personalaufwand sensorgestützt dokumentieren.
4. Digitalisierung – BIM als Game Changer
Generell bietet die Digitalisierung einen performanten Ansatz, um personelle Ressourcen in der Kanalsanierung zu entlasten. Insbesondere das Building Information Modeling (BIM) bietet die Chance, Prozesse von der Zustandserfassung über die Ausführung bis zur Dokumentation durchgängig digital abzubilden. Damit verbunden ist jedoch die Notwendigkeit, bestehende Medienbrüche zwischen Planungs- und Ausführungsphasen zu überbrücken. Hier bedarf es der Entwicklung einheitlicher Schnittstellen und der Nutzung einheitlicher Datenmodelle, die auf den vorhandenen xml-Formaten aufbauen.
5. Künstliche Intelligenz: Der nächste Technologiesprung
Besonderes Potenzial für einen Paradigmenwechsel birgt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Bereits heute sind Systeme in der Lage, auf Basis von TV-Inspektionsdaten und 3D-Scan-Technik automatisierte Zustandsbeschreibungen von Kanälen zu erstellen – mit hoher Genauigkeit und Verlässlichkeit. Zudem arbeitet der VSB an einem eigenen KI-basierten Chatbot, der Fachplaner und Ingenieure bei der technischen Auslegung und Dokumentation unterstützen soll. Die Idee dahinter: Ein Werkzeug, das wiederkehrende Aufgaben übernimmt, die Bearbeitungszeit verkürzt und dabei gleichzeitig die Planungsqualität steigert.
Struktureller Wandel als Chance
Die aktuellen Herausforderungen sollten nicht als Risiko, sondern als Chance zur Neuausrichtung der gesamten Sanierungspraxis verstanden werden. Durch den gezielten Einsatz moderner Technologien können Prozesse effizienter, transparenter und personalschonender gestaltet werden. Das Ziel bleibt es, die hohe Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Kanalsanierungsbranche langfristig zu sichern.