Globale Probleme regional anpacken

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Globale Probleme regional anpacken

Netzinfrastruktur und Klimawandel

Hitzewellen und Trinkwasserknappheit, Starkregen und Überschwemmungen – für Fachleute zählen die Wetterextreme und ihre Folgen zu den Auswirkungen eines globalen Klimawandels. Nachdem das Wetter im vergangenen Jahr in Teilen Europas für einen sogenannten Jahrhundertsommer gesorgt hat, werden zu Beginn des Jahres Australien und die USA von Extremen heimgesucht: Während Down Under mit Spitzenwerten von fast 50 °C den heißesten Januar seit Beginn der Temperaturaufzeichnung erlebt und der Asphalt auf den Straßen schmilzt, hat eine Kältewelle mit Temperaturen bis -35 °C in den USA zahlreiche Tote gefordert. Hiermit müssen sich Wissenschaftler, Politik und Gesellschaft ebenso auseinandersetzen, wie die Akteure im Tief- und Rohrleitungsbau. „In diesem Sinne ist das Leitthema des 33. Oldenburger Rohrleitungsforums „Rohrleitungen – Transportmedium für Trinkwasser und Abwasser“ brandaktuell, hinterfragt es doch die langfristigen Auswirkungen der Wetterentwicklung in Mitteleuropa auf unsere Infrastruktur“, ist Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident der Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth, überzeugt.

Vielfach führen Extremwetterlagen zu temporären Überflutungen ganzer Stadteile und zeigen dabei in unregelmäßigen Abständen immer wieder die funktionalen Grenzen der bestehenden städtischen Infrastruktur auf. So ist beispielsweise das Entwässerungskanalnetz einer Stadt in der Regel nicht auf derartige Abflussmengen ausgelegt, mit der Folge, dass mit Erreichen der Kapazität der Pegel des Wassers das Straßenniveau übersteigt. Auf der anderen Seite können sehr lange und warme Sommer in einigen Gebieten zu erheblichen Ernteeinbußen in der Landwirtschaft führen, mancherorts auch zu Beeinflussungen der Trinkwasserversorgung. Wegener verweist in diesem Zusammenhang auf Erfahrungen des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes (OOWV) oder aber auf die Vorkommnisse in der mittelhessischen Region Vogelsberg und die Stadt Ulrichstein, in der aufgrund der Trockenheit die Trinkwasserversorgung der Kernstadt nicht mehr sichergestellt werden konnte. Kurzzeitig wurde das benötigte Wasser mit Tankwagen geliefert und die Bevölkerung um sparsamen Verbrauch gebeten.

Sonderbericht klärt auf

Um Entwicklungen wie diesen wirkungsvoll zu begegnen und um eine weitere Erderwärmung als Ursache von Wetterextremen zu begrenzen, setzt sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene für anspruchsvolle Klimaschutzziele ein. Und das ist auch dringend erforderlich, wie der am 8. Oktober 2018 veröffentlichte Sonderbericht des Intergovernmental Panel On Climate Change (IPCC) deutlich vor Augen führt. Entgegen des bis dato verfolgten Ziels, die Erderwärmung auf 2,0 °C zu beschränken, geht der im Herbst letzten Jahres vorgelegte Bericht davon aus, dass es nur bei einer Beschränkung der Erderwärmung um 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau möglich sein wird, Menschen vor Extremwetterlagen wie Sturm- und Wasserkatastrophen sowie Dürre- und Trockenheitsszenarien zu schützen. Voraussetzung hierfür sei allerdings konsequentes Handeln auf allen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Stress für die Rohrleitungen

Doch wie kann das aussehen und welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Rohrleitungssysteme? „Die Zunahme von Extremwetterbedingungen bedeutet wachsenden Stress für Rohrleitungssysteme“, sagt Prof. Dr. Daniela Jacob, Direktorin des Climate Service Center Germany, GERICS, einer Einrichtung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht, die an der Entstehung des IPCC-Sonderberichtes beteiligt war. „Rohrleitungssysteme bilden ein wichtiges Bauelement der kritischen Infrastruktur. Dies gilt sowohl für die Trinkwasserver- als auch für die Abwasserentsorgung“, so Prof. Jacob weiter. Auch wenn die Rohrsysteme auf den ersten Blick – durch ihre unterirdische Lage – vor den direkten meteorologischer Extremereignissen wie Stürmen oder Starkregen aber auch Witterungsperioden wie Dürren oder Hitzewellen geschützt seien, so erhöhe sich doch zusehends deren Stress sowie die jeweiligen technischen Anforderungen. Genauso vielfältig wie die direkten und indirekten Folgen des Klimawandels stellen sich für Prof. Jacob auch die Herausforderungen dar, die es zu bewältigen gilt: „In Bezug auf die Temperatur, insbesondere während längerer Hitzeperioden, kann die Trinkwassertemperatur in den Leitungen zum Teil deutlich ansteigen. Hier sind Temperatur von über 25 °C dokumentiert. Für die Abwassersysteme sind dagegen Niederschlagsextreme von großer Bedeutung. Während kurzer und intensiver Starkregenereignisse stößt die Straßenentwässerung vielerorts an ihre Grenzen. Langanhaltende Trockenperioden führen dagegen zu einer verstärkten Bildung von Kanalsedimenten. Mögliche Folgen dieser Ablagerungen sind eine verminderte hydraulische Leistungsfähigkeit des Abwasserkanals, die Entstehung von Korrosion bei zement-gebundenen Kanalrohrmaterialien und Frachtstoßbelastungen für nachgeschaltete Abwasserbehandlungsanlagen.“

Klimaschutz- und Anpassungsbemühungen zusammenhängend betrachten

Da trotz aller Maßnahmen zum Klimaschutz weltweit immer noch viel zu große Mengen an Treibhausgasen emittiert werden, sind klimatische Veränderungen mit spezifischen regionalen und sektoralen Auswirkungen unausweichlich. Somit gewinnt das Thema Anpassung an die Folgen des Klimawandels weiter an Bedeutung. Vergleicht man die Änderungen einzelner Klimavariablen des „Klimaschutz-Szenarios“ (RCP2.6) mit denen des „Weiter-wie-bisher-Szenarios“ (RCP8.5) für die Perioden 2071-2100 und 1971-2000, so wird der Nutzen von Klimaschutzbemühungen und deren Einfluss auf zu planende Anpassungsmaßnahmen ganz deutlich. Denn Temperatur- und Niederschlagskennzahlen, wie die Anzahl der Sommertage beziehungsweise der Hitzetage oder Niederschlagsmengen im Sommer oder Winter, fallen im RCP2.6 Szenario um den Faktor zwei- bis fünfmal geringer aus, als im RCP8.5 Szenario. „Da eine Investition in Klimaschutzmaßnahmen demnach indirekt auch zu einer Verringerung der Kosten führt, die später für regionale und lokale Anpassungsmaßnahmen aufgebracht werden müssen, sollen Klimaschutz- und Anpassungsbemühungen immer zusammenhängend betrachtet werden“, so Prof. Jacob.

Mit großen Variabilitäten rechnen

„Das Jahr 2018 hat der Gesellschaft, den Betreibern von Trinkwasserversorgungsnetzen und auch der Stadtentwässerung jedenfalls deutlich vor Augen geführt, dass in Mitteleuropa schon heute mit einer sehr großen Variabilität von Wasserbedarf und Regenwasseraufkommen gerechnet werden muss“, diese Meinung vertritt Apl.-Prof. Dr. Helge Bormann, Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth, Referat Forschung und Transfer am Studienort Oldenburg. Viele wasserwirtschaftliche Systeme sind im bereits vergangenen Jahr an ihre Belastungsgrenze geraten und zum Teil auch darüber hinaus belastet worden. Klimaprojektionen lassen für die Zukunft mit sehr großer Wahrscheinlichkeit erwarten, dass sich Intensität und Häufigkeit von Extremereignissen noch weiter verstärken werden. Es wird sowohl mit längeren Trockenperioden als auch mit extremen Starkregenereignissen zu rechnen sein. „Für die Ver- und Entsorgungsbetriebe bedeutet das, dass sie sich frühzeitig auf diese Veränderungen einstellen müssen“, so Prof. Bormann weiter. Vor dem Hintergrund der Lebenserwartung der Versorgungsinfrastruktur stelle sich deshalb schon heute die Frage nach der strategischen Anpassungsplanung an die zu erwartenden Veränderungen. Als Handlungsbereiche sollten dabei sowohl ein technischer Ausbau bzw. Umbau der Netze als auch die Optimierung des Netzbetriebs – etwa durch Vernetzung und Digitalisierung – und das Management ggfs. verbleibender Risiken zum Beispiel durch lokale Überflutungen oder von Druckabfall im Versorgungsnetz berücksichtigt werden.

Netzwerke optimal steuern

Im Vergleich zu vielen anderen Ländern in Europa sind die Standards in Deutschland sowohl für die Wasserversorgung als auch das Regenwassermanagement vergleichsweise hoch. Allerdings ist es nur selten wirtschaftlich, Ver- und Entsorgungssysteme beliebig auszubauen, um Sicherheitsstandards in Zeiten des Klimawandels noch zu erhöhen. Neben einer moderaten Anpassung der Dimensionierung bietet deswegen eine Optimierung des Betriebs der Ver- und Entsorgungsnetze eine gute Perspektive. Durch die zunehmende Vernetzung von Verbundsystemen können lokale Überlastungen des Netzes besser abgepuffert werden, und die Digitalisierung kann dabei helfen, solche Netzwerke optimal zu steuern. Da aber z. B. die Regenwasserkanalisation nicht beliebig erweiterbar ist, sollten gleichzeitig Lösungen identifiziert werden, Extremwetterereignisse auch im Falle der Überlastung der Systeme möglichst schadlos zu überstehen. Dies kann sowohl durch zentrale Maßnahmen wie etwa Regenrückhaltebecken oder Flutwege, als auch durch dezentrale Maßnahmen wie Dachbegrünung oder Objektschutz geschehen. „In der Regel ist eine Kombination verschiedener Maßnahmen Erfolg versprechend, um die Flexibilität der Systeme zu erhören“, erklärt Prof. Bormann. Das Spektrum möglicher Maßnahmen sei groß, und bei der Suche nach geeigneten Maßnahmen könne viel von unseren Europäischen Nachbarländern gelernt werden.

Europäisches Pilotprojekt

Positive Praxisbeispiele werden beispielsweise im Rahmen des europäischen CATCH-Projekts gesammelt und in Rahmen eines Entscheidungsunterstützungssystems zur Verfügung gestellt, das spätestens im Jahr 2020 online frei verfügbar sein wird. Das 2017 gestartete und mit EU-Geldern geförderte Pilotprojekt „water sensitive Cities: the Answer To CHallenges of extreme weather events“ kurz „CATCH“ hat sich zum Ziel gesetzt, Städte im Nordseeraum bei der Anpassung an Extremwetterereignisse zu unterstützen. Anhand von sieben Pilot-Städten in Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden werden unter Leitung des niederländischen Lead-Partners Waterschap-Vechtstromen beispielhafte Klimaanpassungsmaßnahmen entwickelt und in ein Entscheidungsunterstützungssystem und Handlungsempfehlungen integriert. Dieses Entscheidungsunterstützungssystem, dessen Prototyp im Rahmen des diesjährigen Oldenburger Rohrleitungsforums vorgestellt wird, wird den Nutzer/innen dabei helfen, geeignete Lösungen für spezifische Extremwetterereignisse bzw. Problemsituationen zu identifizieren und von den Erfahrungen anderer zu profitieren. „Wenn es gelingt, frühzeitig vorsorgende Maßnahmen in den genannten Handlungsbereichen in ausgewogener Weise umzusetzen, werden auch in Zeiten des Klimawandels Extremereignisse bewältigt werden können“, so das Fazit von Prof. Bormann.

Bei Starkregen am Limit

Vor welchen großen Herausforderungen eine große Kommune wie die Freie und Hansestadt Hamburg steht, schildert Dipl.-Ing. Ingo Hannemann, Technischer Geschäftsführer der HAMBURG WASSER, Hamburg. „Hamburg wächst und damit nehmen die bebauten Flächen zu, von denen Regenwasser in die Kanalisation fließt“, erläutert Hannemann. „Hinzu kommen zunehmend Phänomene des Klimawandels, der Klimaforschern zufolge Hamburg häufiger als bislang Starkregengüsse bringen wird. Das Problem: Bei starkem Regen kann die Kanalisation das Wasser manchmal nicht schnell genug aufnehmen. Insbesondere in jenen Bereichen Hamburgs, die historisch im Mischwassersystem angelegt worden sind, sind Mischwasserüberläufe und damit Gewässerverschmutzungen bei extremen Regenereignissen die Folge.“

HAMBURG WASSER geht diese Herausforderung aktiv an. Die Handlungsfelder des Unternehmens erstrecken sich vom klassischen Ausbau der konventionellen Kanalisation bis hin zur Erprobung neuer, dezentraler Wege im Umgang mit Regenwasser. Bereits seit den 1980er Jahren baut der kommunale Ver- und Entsorger die städtische Kanalisation gezielt aus und hat sie an strategisch wichtigen Punkten um Rückhaltebecken, Sammler, Speichersiele und Transportsiele (Siel = hamburgisch für Abwasserkanal) ergänzt. Im Ergebnis hat HAMBURG WASSER rund 670 Millionen Euro in diese „Kanalisation unter der Kanalisation“ investiert. Mischwasserüberläufe konnten seitdem erheblich reduziert werden. „Trotz dieser kräftigen Anstrengungen im konventionellen Sielbau bietet die Kanalisation Hamburgs keinen 100-prozentigen Schutz vor Überläufen aus der Kanalisation“, stellt Hannemann klar. Das sei technisch schlichtweg nicht möglich und wäre auch nicht finanzierbar. Um die eingangs beschriebenen Herausforderungen Flächenversiegelung und Klimawandel zu bewältigen, arbeite HAMBURG WASSER deshalb an Lösungsansätzen für einen neuen Umgang mit Starkregen.

Wassersensible Stadtentwicklung

Die Transformation Hamburgs zur viel zitierten „Schwammstadt“ ist allerdings keine Aufgabe, die HAMBURG WASSER alleine bewältigen könnte. Stattdessen sind interdisziplinäre Lösungsansätze gefragt. Vor gut zehn Jahren hat HAMBURG WASSER dazu gemeinsam mit der damaligen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt das Projekt „RISA – RegenInfraStrukturAnpassung“ initiiert, um Lösungen für die zunehmenden Zielkonflikte zwischen Stadtentwicklung und Wasserwirtschaft zu erarbeiten. RISA hat hierbei wertvolle Grundlagenarbeit geleistet und dient als ein Wegbereiter einer wassersensiblen Stadtentwicklung. „RISA hat nicht nur in vielen Piloten und Referenzprojekten gezeigt, dass dezentrale Regenwasserbewirtschaftung im urbanen Umfeld gelingen kann, sondern insgesamt Aktionskorridore aufgezeigt, in denen die Maßnahmen des Regenwassermanagements als fester gestalterischer Bestandteil der Stadtentwicklung etabliert worden sind“, so Hannemann weiter. Wasserwirtschaftliche Maßnahmen seien seit RISA viel stärker in die Stadt-, Raum- und Verkehrsplanung integriert. Bemerkbar mache sich das beispielsweise an dem neuen Stadtteil Oberbillwerder, der ab 2023 auf einer Fläche von 124 Hektar rund 16.000 Menschen eine neue Heimat bieten wird. Das Entwässerungskonzept des neuen Stadtteils berücksichtigt Starkregenereignisse mit einer 100-jährlichen Eintrittswahrscheinlichkeit – ohne dass Regenwasser in die Kanalisation eingeleitet wird. Stattdessen setzt das Konzept auf die Mehrfachnutzung öffentlicher Flächen.

Extremwetterlagen – hierin sind sich die Experten einig – stellen Versorger und Netzbetreiber vor große Herausforderungen. Auch leitungsgebundene Infrastrukturen und kommunale Entwässerungssysteme müssen wassersensibel angepasst und konstruktiv auf den Wechsel zwischen lange anhaltenden Trockenperioden und punktuell auftretenden Starkregenereignissen eingestellt werden. Das wird nur gehen, wenn Politik und Gesellschaft, Wissenschaftler vieler Fachrichtungen, Stadtplaner und Netzbetreiber gemeinsam und im Schulterschluss an interdisziplinären Lösungen arbeiten.

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