Wasserstoff – der Weg in eine sorgenfreie (Energie-)Zukunft?

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Wasserstoff – der Weg in eine sorgenfreie (Energie-)Zukunft?

Energiewirtschaft im Wandel

Die energiepolitische Messlatte liegt sehr hoch: Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 % gegenüber 1990 reduziert werden. Das zur Erreichung dieser Ziele unser Gasnetz und insbesondere der Wasserstoff eine bedeutende Rolle spielen können, scheint spätestens seit Oktober 2019 klar zu sein. Damals stellte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Berlin erste Ergebnisse und Handlungsempfehlungen aus dem „Dialogprozess Gas 2030“ vor. Dieser war im Dezember 2018 offiziell gestartet worden, um mittel- und langfristige Nutzungsperspektiven des Energieträgers und der Gasinfrastruktur zu erörtern. „Gas ist sexy“, sagte der Minister damals. Laut Altmaier wird Erdgas als Brückentechnologie noch bis 2030 integraler Bestandteil des Energiesystems bleiben. Danach würde der Pfad in die Wasserstoffwelt beginnen und Wasserstoff ein Schlüsselrohstoff für die Energiewende werden, so die Prognose des Ministers.

Gasförmige Energieträger unverzichtbar

Wenn die Energiewende gelingen soll – hier sind sich viele Fachleute einig –  gilt es auch, den Ausbau der Gasnetze voranzutreiben. „Zumindest für die nächsten drei Jahrzehnte ist Gas – möglicherweise sukzessive ersetzt durch „grünes“ Gas – aus sicheren Energieversorgungskonzepten nicht wegzudenken“, ist auch Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident der Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth, überzeugt. „Was im Einzelnen wann möglich sein wird, wird auch von den Fortschritten und Einsatzmöglichkeiten in der Wasserstofftechnologie abhängen, darüber hinaus aber auch von den Fortschritten in der Entwicklung der Power2X-Technologien bestimmt sein.“

Vorhandene Netze nutzen

Ob dann eine eigene Wasserstoffinfrastruktur nötig ist, oder die vorhandene Erdgasinfrastruktur genutzt werden kann, gehört zu den wichtigsten Fragen, die es zu klären gilt. Reine Wasserstoffnetze werden schon seit Jahren in Deutschland betrieben, diese werden aber langfristig wohl nur einen kleinen Teil der gesamten Wasserstoffinfrastruktur ausmachen. Viel diskussionswürdiger und erfolgversprechender scheint deshalb der Ansatz der Einspeisung von Wasserstoff in die vorhandenen Erdgasnetze zu sein. Netzseitig sind derzeit 10 Prozent Wasserstoffzumischung in Erdgasnetzen zulässig. Das ist wohl ausbaubar, ebenso wie das vorhandene Regelwerk, das an die neuen Rahmenbedingungen noch angepasst werden muss. Unter anderem muss das bestehende Netz dahingehend überprüft werden, ob höhere Wasserstoffbeimischungen möglich sind, etwa mit Blick auf eine Korrosionsgefahr oder die Eignung der Dichtungsmaterialien.

Allheilmittel oder Illusion

Vor diesem Hintergrund kann Gas sowohl in der Stromerzeugung als auch im Wärmemarkt und in der Industrie langfristig eine große Rolle spielen. Auch in der Mobilität werden gasbasierte Kraftstoffe an Bedeutung gewinnen. Derzeit beschäftigen sich zahlreiche Studien und Projekte mit der Nutzung von Wasserstoff: Ab 2020 wird der Energiepark Bad Lauchstädt als Reallabor die Herstellung per Großelektrolyse, den Transport durch umgewidmete Erdgaspipelines und den wirtschaftlichen Einsatz im industriellen Maßstab erproben. Für die Zwischenspeicherung soll dabei eine unterirdische Salzkaverne dienen. Weltweit wäre das die erste Kaverne, die mit Hilfe von erneuerbarem Strom gewonnenen Wasserstoff einspeichert. Auch mit Blick auf den Verkehrssektor ist Wasserstoff ein Hoffnungsträger. Bereits seit September 2018 sind im Elbe-Weser-Netz in Niedersachsen zwei Wasserstoffzüge im regelmäßigen Fahrgasteinsatz; auch in Hessen sollen bald Coradia iLint-Züge in Betrieb gehen. Im Gegensatz zu Dieselzügen fahren sie emissionsfrei, denn Brennstoffzellen an Bord erzeugen durch die Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff aus der Umgebungsluft die für den Antrieb erforderliche elektrische Energie.

Kopplung von Strom und Gas

Die Kopplung von bestehenden Energiesektoren – insbesondere unter Verwendung der Power-to-Gas-Technologie und Verbindung der Gas- und Strominfrastruktur – gehören folgerichtig zu den Schwerpunkten des 34. Oldenburger Rohrleitungsforums. Mehrere Vortragsblöcke beschäftigen sich mit den Themen Herstellung, Transport, Speicherung, betriebliche Anwendung und Sicherheitsfragen und decken somit schon ein sehr breites Spektrum an den Aspekten ab. „Dass diese Themen hier in dieser Themenbreite und Detailtiefe angesprochen werden, zeigt, welchen Stellenwert Wasserstoff in den Augen der Ingenieure hat, wie wichtig er für die Energieversorgung der Zukunft sein wird und wie wichtig es ist, dass es Foren gibt, bei denen die unterschiedlichen Fachleute zusammenkommen und sich austauschen können“, ist Dr.-Ing. Manfred Veenker, Dr.-Ing. Veenker Ingenieurgesellschaft mbH, Hannover, übezeugt. „Wir werden in den nächsten Jahren in dieser Thematik noch sehr viel erleben und das Oldenburger Rohrleitungsforum wird weiterhin bei der Bearbeitung der Ingenieursfragen eine wichtige Rolle spielen“, so Dr. Veenker weiter. „Es kann jedoch nicht übersehen werden – und wird auch auf dem Forum eine Rolle spielen – dass wir zurzeit an Lösungen für eine Fragestellung arbeiten, die noch keine wirtschaftliche Grundlage hat. Wasserstoff kann ja erst dann im Energiesektor eine Rolle spielen, wenn er aus „grünem Strom“ in hinreichender Menge erzeugt werden kann. Da wir heute erst rund 10 % unseres Endenergiebedarfs „grün“ decken und nicht zu erwarten ist, dass wir – den vollmundigen Ankündigungen der Politiker folgend – bis 2050 unsere gesamte Endenergie „grün“ bereitstellen können, liegen vor der vollumfänglichen Einführung einer Wasserstoffwirtschaft noch erhebliche Hürden. Diese Hürden und die notwendigen Entwicklungsschritte werden auf den nächsten Foren eine wichtige Rolle spielen.“

Gas erlebt Renaissance

Spannend ist die energiepolitische Diskussion auch für Dr. Dipl.-Volksw. Gerrit Volk, Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, Referatsleiter Zugang zu Gasverteilnetzen, Bonn. Die Einschätzung von Minister Altmaier, dass Erdgas sexy sei, trifft für Dr. Volk ins Schwarze: „Gas hat im vierten Quartal 2019 in breit angelegten Prozessen über die zukünftige Verwendung von (Erd-)Gas im Rahmen des Dialogprozesses Gas 2030 und der nationalen Wasserstoffstrategie eine Renaissance erlebt. Vor der bevorstehenden Abschaltung des letzten Kernkraftwerkes und dem Ausstieg aus der Kohle erinnert man sich (wieder) an die Vorzüge der Gasversorgung: 24/7-Einsetzbarkeit im Kraftwerksbereich, hohe Marktliquidität, im Vergleich zu anderen fossilen Einsatzstoffen geringe CO2-Emissionen, perfekte und flächendeckende Leitungen mit gewaltigen Speicherpotenzial und vergleichsweise günstige Preise! Während Biomethan schon seit Jahren als Zusatz- und Austauschgas im deutschen Gasnetz transportiert wird, wäre eine gezielte Einspeisung von Wasserstoff ein Novum. Aber so ganz neu ist Wasserstoff im deutschen Gasnetz auch wieder nicht, erinnert man sich an die Stadtgaszeiten! Das euphorisch von vielen Protagonisten beworbene Thema der erneuerbaren Gase verliert das populistische Niveau, wenn man sich den Details nähert“, so Dr. Volk. Reden wir von grünem Wasserstoff unter Verwendung von EE-Strom oder von blauem Wasserstoff, also unter Zerlegung von Erdgas und Speicherung der abgetrennten Kohlenstoffe? Findet die Speicherung überhaupt eine Akzeptanz in der Bevölkerung? Wollen wir reine Wasserstoffnetze oder eine Wasserstoff-Beimischung in Erdgasnetze? Mit dem Energieträger Wasserstoff sind Fragestellungen verbunden, auf die es jetzt Antworten zu finden gilt.

Wie ist die Stimmung für Gas welchen Ursprungs auch immer Anfang des Jahres 2020 zu charakterisieren? Sie ist grundsätzlich so positiv wie seit langem nicht, wenngleich die Entscheidung der Europäischen Investitionsbank, ab dem Jahr 2022 keine Erdgasprojekte mehr zu kreditieren, mehr als nur symbolischen Charakter hat. „Die positive Grundstimmung, flankiert durch eine breite politische Zustimmung zum Einsatz erneuerbarer Gase, benötigt jetzt konkrete Umsetzungsarbeiten in technischer, aber auch regulatorischer Sicht, um insbesondere Wasserstoff auch mittels eines schnellen Erreichens der Wirtschaftlichkeit einsatztauglich zu machen!“ lautet das Fazit von Dr. Volk.

Rückgrat der Energiewende

Die Bedeutung des Erdgasnetzes hebt auch Dr. Arnd Schmücker, Open Grid Europe GmbH, Integrität – Leiter Gastechnik/Sicherheit, Essen, hervor. Das Erdgasnetz transportiere heute doppelt so viel Energie wie das Stromnetz und vorbehaltlich einer bis dato nicht erkennbaren erheblichen Effizienzsteigerung werde der Energiebedarf in der vielfach unterstellten Weise auch nicht sinken. Die Gasanwendungen würden weiterhin Bestand haben, so dass beide Netze erforderlich bleiben. Damit stelle das Gasnetz mit seiner erheblichen Energiespeicherfähigkeit und der dadurch gegebenen Flexibilität in der Energieversorgung das Rückgrat für die Energiewende dar. „Die in Deutschland darstellbare Produktion erneuerbarer Energien wird zur Deckung des Energiebedarfs nicht ausreichen“ sagt Dr. Schmücker. Energie müsse daher aus Regionen importiert werden, in denen die regenerative Erzeugung aufgrund der vorhandenen Produktionsfläche und der meteorologischen Bedingungen in ausreichender und effizienter Form erfolgen könne. „Der Energietransport wird ganz wesentlich über erneuerbare Gase zu realisieren sein. Es wird sich hierbei um SNG (Synthetic Natural Gas bzw. Substitute Natural Gas) oder H2 handeln, die je nach Entfernung vom Produktionsort per Pipeline oder tiefkalt per Schiff nach Deutschland kommen.“ Dabei sei für flüssigen Wasserstoff die Infrastruktur noch zu errichten, für SNG könne der bestehende LNG-Pfad (Liquified Natural Gas) verwendet werden, so Dr. Schmücker, der darüber hinaus darauf hinweist, dass u.a. neben den erneuerbaren Gasen auch Wasserstoff aus dekarbonisierter Quelle in der Industrie, dem Wärmemarkt und der Mobilität eingesetzt wird. Alternativ bestehe die Möglichkeit, H2 aus Methan durch Pyrolyse herzustellen in einem Prozess ähnlich dem, welcher heute bereits zur Produktion von Carbon Black verwendet würde. Produkte der Pyrolyse seien im Idealfall H2 und weitgehend reiner Kohlenstoff. Letzterer sollte einer stofflichen nicht vermeidbaren Nutzung zugeführt werden. Diese und andere technische Verfahren stellen die Voraussetzungen für die Kopplung von Gasnetzen und Wasserstoff dar. „Neben einer in ihrem ursprünglichen Ausbauzustand durch Nutzungsänderung (Wasserstofftransport) etwas reduzierten Gasinfrastruktur wird auf Ferngasebene und zum Teil auch auf der Verteilebene eine separate Wasserstoffinfrastruktur entstehen“, so Dr. Schmücker. Für die Pipelines seien allerdings individuelle Prüfungen erforderlich, mit denen ihre Wasserstofftransportfähigkeit nachgewiesen werden muss. Die Basis für diese Prüfungen würde bei den Netzgesellschaften aktuell erarbeitet.

Mobilität im Fokus

Das Thema Mobiliät ist der Arbeitschwerpunkt von Prof. Dr.-Ing. Rainer Schwerdhelm, Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth, Fachgebiet Mobilität und Steuerung von Verkehrsströmen, Fachbereich Bauwesen Geoinformation Gesundheitstechnologie am Studienort Oldenburg. Einsatz von Wasserstoff hat durchaus eine geschichtliche Dimension: Das wohl im Jahr 1839 von Sir William Grove entdeckte Prinzip, wonach sich die Elektrolyse mit Hilfe einer Brennstoffzelle zur Gewinnung von elektrischem Strom umkehren lässt, wurde laut Prof. Schwerdhelm in den 1960er Jahren erstmalig bei amerikanischen Raumfahrzeugen praktisch eingesetzt. Hiervon inspiriert, entwickelten General Motors und andere Fahrzeughersteller ab Ende der 1960er Jahre Brennstoffzellenfahrzeuge, welche allerdings keinen Eingang in den Markt fanden. Erst 2008 kam mit dem Honda FCX Clarity das erste FCEV (Fuel Cell Electric Vehicle) aus einer Serienproduktion in den freien Verkauf. Ein FCEV hat beim Betrieb den Vorteil, dass lokal neben dem Bremsen- und Reifenabrieb nur Wasser als Verbrennungsprodukt anfällt. Trotz des ökologischen Drucks sowie der politischen und finanziellen Anreize, konnten sich die FCEV auf dem Pkw-Markt nicht durchsetzen und werden zurzeit von den BEV (Battery Electric Vehicle) in den Verkaufszahlen um Größenordnungen abgehängt. Dies hat zum einen finanzielle Gründe, der Wartungsaufwand für ein FCEV scheint dazu deutlich höher zu sein als bei anderen Fahrzeugen und in Deutschland gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten ein FCEV zu tanken. Wirtschaftlich tragbare Anwendungen der Wasserstoffmobilität ergeben sich für Prof. Schwerdhelm möglicherweise für Transport- und Beförderungseinheiten, welche aufgrund ihrer großen Masse zum Beschleunigen derart große Energiemengen benötigen, dass die zurzeit vorhandene Batterietechnologie damit schlicht überfordert ist. Dies sei im Bereich der Luftfahrt, des Schienenverkehrs, der Schifffahrt und im Güterverkehr der Fall. Hier müsse sich der Wasserstoff allerdings mit grün synthetisierten Kraftstoffen messen. Ebenfalls vorangeschritten sei die Entwicklung großer Straßengüterfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb. Hier fehle zum Betrieb allerdings ein Tankstellennetz.

Wasserstoff scheint also durchaus den Weg in eine sorgenfreie (Energie-)Zukunft zu weisen. Neben den geschilderten technischen und regulativen Voraussetzungen gilt es aber auch, politische Rahmenbedingungen für die Umsetzung einer zukunftsweisenden Sektorkopplung und für die Entwicklung eines europäischen Verbundsystems zu schaffen. Eine politisch verordnete Energiewende kann nach Meinung vieler Fachleute nur dann zum Erfolg führen, wenn das derzeit noch an überholten Strukturen orientierte Anreizregulierungssystem innovationsfreundlicher wird und den technischen Entwicklungserfordernissen den erforderlichen Raum einräumt.

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