01 Sep 2021
Strategisch und nachhaltig agieren
Breitbandausbau mit verantwortungsvollem Blick auf vorhandene Infrastrukturen
Neben vielen anderen baulichen Aufgaben, denen sich der Leitungsbau aktuell widmen muss, bleibt der Ausbau eines flächendeckenden Breitbandnetzes ein Dauerbrenner. Die Kluft zwischen politischem Drängen auf schnelle Baufortschritte und einer an baulicher Qualität und Nachhaltigkeit orientierten Branche scheint groß, manchmal zu groß. Vielerorts vergessen politische und kommunale Entscheider, dass kein neues Giganetz aus dem Ärmel geschüttelt werden kann, ohne dabei Bestandsinfrastrukturen – ob Straßen oder Versorgungsleitungen – verantwortungsvoll im Blick zu halten. Um hier immer wieder an strategischer Position mit technischem Sachverstand Aufklärungs- und Korrekturarbeit zu leisten, hat der Rohrleitungsbauverband e. V. (rbv), Köln, in den vergangenen Monaten – oft in enger Kooperation mit Branchenpartnern – viele Aktivitäten initiiert und begleitet. All das nicht zuletzt zum Schutz infrastruktureller Vermögenswerte.
Derzeit steht in Deutschland noch kein flächendeckendes Breitbandnetz zur Verfügung. Ende 2020 besaßen laut Breitbandatlas des Bundes rund 14,5 Prozent der bundesdeutschen Haushalte einen Glasfaser-Anschluss (FTTB/H). Die Versorgung mit gigabitfähigen Anschlüssen habe zum selben Zeitpunkt bei 59,2 Prozent der Haushalte gelegen. Mit Blick auf diese Statistik wird ein grundlegendes Problem ersichtlich. Das ursprünglich für 2025 politisch avisierte Ziel eines flächendeckenden Ausbaus bleibt unrealistisch – ein Tatbestand, auf den vonseiten qualitätsorientierter Bauakteure schon lange Zeit hingewiesen wird. „Eine überall und allzeit verfügbare Übertragung großer Datenmengen in höchster Geschwindigkeit ist für eine moderne Gigabit-Gesellschaft und für einen auch langfristig konkurrenzfähigen Wirtschaftsstandort Deutschland von großer Bedeutung. Es kann aber nicht sein, dass wir angesichts dieses politischen und gesellschaftlichen Drucks aktuell in ein panisches Sprinttempo verfallen, das den in unserer Branche selbstverständlichen Qualitätsstandards keinerlei Rechnung trägt“, so rbv-Präsident Dipl.-Ing. (FH) Fritz Eckard Lang. „Vielmehr gilt es hier ein wohldosiertes Tempo zu wählen, das auf die Gesamtheit aller in den Sparten Wasser, Gas, Strom, Fernwärme und Abwasser erforderlichen Leitungsarbeiten abgestimmt werden muss. Denn unsere Verantwortung als Leitungsbauer gilt allen Netzen“, so Lang mit Nachdruck. „Auch Politiker und Netzbetreiber sollten ähnlich ganzheitlich denken und handeln!“
Schäden sind vorprogrammiert
Im Zentrum der Debatte um einen beschleunigten Breitbandausbau befinden sich schon seit geraumer Zeit sogenannte untiefe Verlegeverfahren, auf deren Einsatz viele Anbieter beim Glasfaserausbau unkritisch vertrauen. Dass es sich bei „Micro-Trenching“ und Co. aber um Nischenverfahren handelt, die nur in einem sehr begrenzten technischen Rahmen zielführend anwendbar sind, wird dabei vernachlässigt. Auch die im Mai dieses Jahres vom Bundesrat verabschiedete Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG-Novelle) ist somit wenig hilfreich, da sie für eine mindertiefe Verlegung von Breitbandinfrastrukturen keine Antragsprüfung mehr vorsieht. Im Gegensatz zu den bislang geltenden Regelungen wird in der Neufassung eine reine Anzeigepflicht für solche Verlegemethoden in Verkehrsflächen als ausreichend definiert, sofern der Anzeigende die durch eine mögliche Beeinträchtigung des Schutzniveaus entstehenden Kosten oder den etwaig höheren Erhaltungsaufwand übernimmt. „Die in der Novelle formulierten Ansätze werden zu massiven Schäden an der Straßeninfrastruktur führen, da vorab nicht wie in einer Antragsprüfung technisch abgewogen werden kann, ob sich ein mindertiefes Verfahren für den Einsatz in einer Verkehrsfläche eignet“, weist der Vorsitzende der Bundesfachabteilung Leitungsbau (BFA LTB) im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB) und rbv-Vizepräsident Dipl.-Ing. Andreas Burger auf eine wesentliche Schwachstelle der Novelle hin. „Auf diesem Weg werden wir nicht – wie beabsichtigt – eine Entlastung der Straßenbaulastträger erreichen, sondern dringliche Fragestellungen von Nachhaltigkeit und Qualität in deren Richtung verlagern und abschieben“, so Burger weiter. Konkrete Schäden – so sieht es die TKG-Novelle vor – müssten innerhalb von drei Jahren aufgenommen und bei den TK-Betreibern angezeigt werden. Dieser Aufwand sei deutlich größer als eine Prüfung bei der Antragsstellung.
Warum mischt sich Politik in Technik ein?
Auch im Zusammenhang mit den bereits im öffentlichen Verkehrsraum befindlichen Versorgungsnetzen blieben viele Fragen ungeklärt. „Wir setzen die Betriebssicherheit unserer Bestandsinfrastrukturen von Gas, Wasser, Fernwärme und Strom aufs Spiel, wenn wir diese mit TK-Linien ohne Sinn und Struktur überbauen“, betont rbv-Hauptgeschäftsführer Dipl.-Wirtsch.-Ing. Dieter Hesselmann. Notwendige Arbeiten an diesen Versorgungsnetzen – im Havariefall oder in der routinemäßigen Wartung – wären kaum noch ohne großen Aufwand durchführbar, wenn man verstärkt auf ein Nischenverfahren wie Trenching setze. „Diese über Jahrzehnte gebauten Infrastrukturen sind im Sinne der Daseinsvorsorge ein unersetzbarer Baustein unseres gesellschaftlichen Gemeinwohls.“ Und ein weiterer Punkt sei an dieser Stelle noch ganz entscheidend. „Wir laufen Gefahr, ein über lange Jahre gewachsenes System hervorragender Technischer Regeln für den Bau erdverlegter Rohrleitungen zu unterhöhlen“, äußert Hesselmann Bedenken. Die in den Paragrafen 126 und 127 formulierten Regelungen sähen zwar vor, dass die zu errichtenden Telekommunikationslinien den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie den anerkannten Regeln der Technik genügen müssen, ignorierten aber gleichzeitig die zum Beispiel in der DIN 1998:2018-07 „Unterbringung von Leitungen und Anlagen in öffentlichen Verkehrsflächen – Richtlinie für die Planung“ definierten Tiefenlagen und Mindestabstände. Damit öffneten die hier getroffenen Regelungen Tür und Tor für ein unqualifiziertes, überhastetes Baugeschehen. Zudem verzerre die konkrete Benennung einer Technologie (Micro- oder Mini-Trenching) den Wettbewerb gegenüber anderen Technologien wie Fräsen, Pflügen oder Spülbohren. „Die geplante mindertiefe Verlegung von Telekommunikationskabeln wird in Summe weder zu Kostenersparnissen, noch zu einer massiven Beschleunigung von Baumaßnahmen führen, sondern nur einem forcierten Qualitätsverlust Vorschub leisten“, bringt Hesselmann eine wesentliche in Richtung politischer Akteure adressierte Botschaft des Leitungsbaus auf den Punkt. Konkrete Gespräche zu diesem Thema hat die BAUINDUSTRIE und mit ihr die Bundesfachabteilung Leitungsbau mit dem FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Sitta am 16. Februar 2021 sowie mit Gustav Herzog, SPD, am 26. Februar 2021 geführt, in deren Verlauf sie ihre Bedenken gegenüber einem solchen Vorgehen deutlich artikuliert hat.
Standards schaffen
Fehlende Begriffsdefinition und unzulängliche normative Vorgaben sind eine wesentliche Ursache für den unqualifizierten Einsatz untiefer Verlegeverfahren. Deshalb soll der bislang noch ausstehende DIN-Standard für das Trenching-Verfahren zeitnah definitorische Klarheit in Bezug auf dessen mögliche Anwendungsbereiche schaffen. Ziel ist es, Qualitätsanforderungen für eine hochwertige Planung, Bauausführung und Dokumentation zu formulieren. Zu diesem Zweck wurde dem DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau) ein entsprechender Normungsantrag vorgelegt. Die konstituierende Sitzung der eingesetzten Drafting-Gruppe, die sich mit allen relevanten Aspekten der Umsetzung des angestrebten neuen DIN-Standards beschäftigt, fand unter Mitwirkung von BFA LTB sowie des rbv und der Gütegemeinschaft Leitungstiefbau e. V. (GLT), Berlin, Anfang des Jahres statt. Die größte Herausforderung besteht im laufenden Arbeitsprozess aktuell darin, eine große Vielzahl mitunter sehr heterogener Interessenlagen unter einen Hut zu bringen. Um das Thema gleichermaßen aus straßenbaulicher Sicht aufzubereiten, arbeitet die FGSV – Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. zeitgleich – ebenfalls unter Beteiligung der Leitungsbauer – an einem Merkblatt zu Trenching-Verfahren. Die Entwürfe von DIN und FGSV sollen voraussichtlich Anfang 2022 veröffentlicht werden.
Qualität und Kooperationsbereitschaft
Ein qualitativ hochwertiges und damit langfristiges Management der wertvollen Versorgungsinfrastrukturen hierzulande ist naturgemäß eine Gemeinschaftsaufgabe aller Akteure des Leitungsbaus. Dass die größtmögliche Effizienz zum Schutze dieser Generationenbauwerke – auch vor dem Hintergrund der forcierten Glasfaserverlegung – insbesondere dann erreicht werden kann, wenn Auftraggeber und Auftragnehmer abgestimmt handeln und sich gemeinsam über Zielgrößen und Schwachstellen der Branche austauschen, ist die Quintessenz, die zur Gründung der Initiative „Zukunft Leitungsbau“ geführt hat. Die kompromisslose Konzentration auf Qualität und Nachhaltigkeit sowie eine intensive Kooperationsbereitschaft aller am Bauprozess beteiligten Partner sind drei Grundpfeiler dieses gemeinsam vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW), Bonn, vom rbv sowie von der Bundesfachabteilung Leitungsbau ins Leben gerufenen Engagements. „Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern zahlt ein auf eine für viele Bereiche des Leitungsbaus nutzenstiftende Prozessoptimierung“, beschreibt Lang den Grundgedanken der Initiative „Zukunft Leitungsbau“. Aktuell arbeitet man unter anderem gemeinsam daran, auf der Basis innovativer Partnerschaftsmodelle Zusammenarbeit zu verbessern und Bürokratie abzubauen. Dies zielt im Wesentlichen darauf ab, gemeinsam Mechanismen zu erarbeiten, um bewährte Qualifizierungssysteme noch besser anzuwenden und Organisations- und Arbeitsabläufe flächendeckend zu verschlanken. Über erste konkrete Ansatzpunkte haben sich der rbv und die DVGW CERT GmbH im Februar ausgetauscht. Schon jetzt ist ablesbar, dass viele derjenigen Aspekte, die die DVGW CERT GmbH im Rahmen der GW 301-Zertifizierung abfragt, teilweise zusätzlich von Versorgern im Zuge von Vergabeverfahren abgefragt werden. Entschlackung wäre hier in größerem Maße schnell realisierbar. Auch für ein Mehr an partnerschaftlichem Miteinander zeichnen sich Fortschritte ab. Nach einer im vergangenen Jahr im Kreise der rbv-Mitgliedsunternehmen durchgeführten Umfrage wurden über 20 Best-Practice-Beispiele und rund 50 konkrete Verbesserungsvorschläge vorgebracht. „Hier wurden neben einer stärkeren Einbindung von Leitungsbauunternehmen in die Planung, auch eine gerechte Risikoverteilung, die Digitalisierung als Chance oder die Einführung von Belohnungssystemen genannt“, erläutert Hesselmann nur einige der gesammelten Rückmeldungen. Um diesen wichtigen Input gezielt in Richtung Energie-/Wasser- und Bauwirtschaft zu kommunizieren, wurde eine Artikel-Serie in der ewp | energie | wasser-praxis gestartet. Als weiterer Schritt einer strategischen Kommunikation und Interaktion zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern wurde am 17. und 18. März dieses Jahres der von der Initiative „Zukunft Leitungsbau“ angestoßene Online-Kongress „Netzbetrieb trifft Leitungsbau“ durchgeführt, bei dem Vertreter von rbv-Mitgliedsunternehmen – darunter Dipl.-Ing. Alexander Klöcker und Dr. Frank Krögel sowie rbv-Präsident Lang, rbv-Vizepräsident Dr. Ralph Donath, und Vorstandsmitglied Dipl.-Ing. Hartmut Wegener – die Positionen des Leitungsbaus klar präsentiert haben.
Netzwerke knüpfen – Status quo verbessern
„Es ist das Ziel aller beteiligten Baupartner, vorhandene Infrastrukturen zu schützen und damit auch leitungsgebundene Vermögenswerte zu erhalten – nicht zuletzt mit sorgenvollem Blick auf das vielerorts unqualifizierte Baugeschehen im Zusammenhang mit dem Ausbau des Breitbandnetzes“, resümiert Lang. Die Initiative „Zukunft Leitungsbau“ ist dabei neben vielen anderen Partner-Projekten ein entscheidender Meilenstein der kooperationsorientierten Fokussierung des Verbandes. „Überall dort, wo wir Schnittmengen für Qualitätsverbesserung sehen oder Ansatzpunkte, um Fehlentwicklungen zu korrigieren, knüpfen wir strategische Netzwerke. Beim Thema Breitbandausbau etwa durch die Mitarbeit der Leitungsbauer in der Arbeitsgruppe „Digitale Netze“ des Steuerkreises Bauwesen – einer Initiative des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), der Bundesländer, der kommunalen Spitzenverbände und der Telekommunikationsnetzbetreiber. Schlussendlich geht es darum, geschlossen aufzutreten, um mit Gleichgesinnten auf ein Mehr an Qualität und Nachhaltigkeit hinzuarbeiten“, so Lang weiter. Nur in starken Partner-Netzwerken sei es möglich, eine Zukunftsagenda des Leitungsbaus auch über die Grenzen der Branche hinweg erfolgreich in Richtung politischer Entscheider zu kommunizieren. Dies aber sei die Grundlage einer auch an die Bedürfnisse zukünftiger Generationen angepassten Versorgungssicherheit hierzulande – unabhängig davon, ob man auf Daten, Wasser, Gas oder Strom blicke.