11 Jan 2022
„Wir haben ein gemeinsames Ziel!“
„Wir haben ein gemeinsames Ziel!“
Innovative Partnerschaft zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern
Wenn Auftraggeber und Auftragnehmer mit dem Ziel einer qualitätsorientierten, termingerechten und kostenkonformen Durchführung einer Baumaßnahme partnerschaftlich zusammenarbeiten, kann dies zur Grundlage einer nachhaltigen Prozessoptimierung und einer deutlichen Effizienzsteigerung im Leitungsbau werden. Ein wegweisender Ansatz in Richtung einer solchen kollaborativen Zusammenarbeit ist das sogenannte „Alliance Contracting“, die vertraglich fixierte Regelung eines partnerschaftlichen Miteinanders zwischen Auftraggeber und Bauunternehmen. Im Interview berichtet Hartmut Wegener, Geschäftsführer der Dahmen Rohrleitungsbau GmbH & Co. KG, und Mitglied im Vorstand des Rohrleitungsbauverbandes e.V. (rbv), Köln, über ein Bauprojekt, bei dem eine definierte Projekt-Allianz der Schlüssel für eine technisch und wirtschaftlich erfolgreiche Verlegung von 300 Kilometern Lichtwellenleiterkabel war.
Herr Wegener, welche Schwierigkeiten treten im Alltag des Leitungsbaus häufig in der Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern auf?
Hartmut Wegener: Ein Grundproblem in der Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern und Bauunternehmen besteht schon seit Jahren darin, dass wir uns noch nicht in ausreichendem Maße als Partner verstehen, die ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die erfolgreiche Durchführung einer Baumaßnahme. Vielerorts ist leider immer noch häufig eine Art von „Fronten-Denken“ zu beobachten, welches massiv von gegenseitigen Vorurteilen beeinflusst ist.
Was heißt das genau?
Hartmut Wegener: Nun, das kennen leider alle im Leitungsbau tätigen Akteure. Bauunternehmen werden immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie zu unflexibel seien und nicht über ausreichende personelle Kapazitäten verfügen. Das hat in der Vergangenheit schon bei vielen Netzbetreibern zu Überlegungen geführt, eigene Tiefbaukolonnen aufzubauen. Aber das kann selbstverständlich nicht der Weg sein. Bauunternehmen hingegen beklagen die zu kurzen Planungshorizonte und die mitunter mangelnde Arbeitsvorbereitung der Auftraggeber. Teilweise liegen noch keine Baugenehmigungen vor, aber Fertigstellungstermine sind bereits schriftlich fixiert. Diese mangelnde Verbindlichkeit unterläuft aber eine valide Projekt- und Personalplanung bei den Vertragsfirmen. Hier wird äußerst ungenügend und auf einer nicht tragfähigen Informationsbasis miteinander kommuniziert. Verständlicherweise führt dies am Ende des Tages zu großer Unzufriedenheit bei allen Projektpartnern.
Aber wie kann das Miteinander dann verbessert werden?
Hartmut Wegener: Ich glaube ein erster entscheidender Schritt liegt darin, die Kommunikation zu verbessern, Verantwortlichkeiten zu überdenken, gegebenenfalls neu zu regeln und konkrete Abläufe zu definieren, an deren Ende eine erfolgreiche Projektdurchführung steht. Hier befinden wir uns an einem zentralen Punkt der Initiative „Zukunft Leitungsbau“, nämlich an der Entwicklung und Durchführung innovativer Partnerschaftsmodelle. Ein sehr gut auch für den Leitungsbau adressierbarer Ansatz ist das sogenannte Alliance Contracting. Hierbei geht es darum, eine Art von Allianzvertrag zwischen den beteiligten Projektpartnern zu schließen, um Qualitätsstandards in der Zusammenarbeit vertraglich zu regeln. Ein solcher Vertrag setzt auf Vertrauen zueinander, auf Integration und auf die Bereitschaft zur Lösung eventuell auftretender Konflikte auf dem Verhandlungsweg.
Zusammenarbeit vertraglich regeln? Wie funktioniert das?
Hartmut Wegener: Ganz praktisch gilt es im Rahmen eines konkreten Bauprojekts ein sogenanntes Alliance Board zu bilden, welchem der Bauherr, andere Akteure wie zum Beispiel Ingenieurbüros und das Bauunternehmen angehören. Diese Partner sind dann auch fester Bestandteil eines operativen Entscheidungsgremiums, das für die gesamte Projektkoordination verantwortlich ist. Der Fachbegriff hierfür beim „Alliance Contracting“ lautet „Integrated Development Team“. Das klingt vielleicht ein bisschen theoretisch, doch lassen Sie mich dies an einem konkreten Beispiel erläutern. An unser Unternehmen wurde der Auftrag herangetragen, über eine Bauzeit von zwei Jahren 300 Kilometer Lichtwellenleiterkabel zu verlegen. Dies hielten wir in dem genannten Zeitrahmen mit unserer Betriebsgröße und dem zur Verfügung stehenden Personal zunächst für nicht realisierbar. Nach unserer ersten Einschätzung wären hier 60 zusätzliche FTEs, also Vollzeitmitarbeiter, im Tiefbau, 10 weitere FTEs im Zusammenhang mit der LWL-Technologie und mindestens drei zusätzliche Bauleiter nötig gewesen.
Also haben Sie den Auftrag abgelehnt?
Hartmut Wegener: Nein, wir haben mit dem Auftraggeber konstruktiv eine Planungs- und Ausführungslösung entwickelt, in der wir gemeinsam, mit anderen Baufirmen und den Bauherren, eine Ausführungsgemeinschaft gebildet haben. Anstelle eines klassischen „Alliance Contracting“ haben wir ein „Memorandum of Understanding“ vereinbart, auf dessen Basis wir mit dem Auftraggeber eine gesamtheitliche Organisationsstruktur erarbeitet haben, in die alle bei der Projektumsetzung eingearbeitet waren und an der alle mitgewirkt haben. Diese inkludierte den Einsatz von Subunternehmen, eine digitale Dokumentation und Abstimmung aller Bautätigkeiten, und – ein zentraler Punkt – von Beginn an eine offene Kommunikation über die Zugrundelegung eines seriösen Leistungsverzeichnisses. Denn nur so kann von vorneherein sichergestellt werden, dass das Baugeschehen einer fundierten Kostenstruktur und einem angemessenen Qualitätsstandard folgen wird. Gerade auch ein sehr frühzeitiger und lösungsorientierter Austausch mit dem Einkauf des Auftraggebers hat im konkreten Fall dazu geführt, ein der Komplexität der Baumaßnahme entsprechendes Leistungsverzeichnis zu gestalten. Hierfür wurden genauso gute Lösungen adressiert wie für die Organisation des Aufmaßes, die Bauüberwachung und viele weitere Details, mit denen eine termingerechte und im Budgetrahmen verbleibende Leitungsbaumaßnahme steht und fällt. All diese Punkte haben wir mit dem Auftraggeber in dem schon erwähnten „Memorandum of Unterstanding“ schriftlich fixiert.
Planung, Aufmaß und Bauüberwachung – neuralgische Punkte bei vielen Leitungsbauarbeiten. Welche konkreten Organisationsdetails haben Sie vereinbart?
Hartmut Wegener: Eine Baustelle dieser Größenordnung mit Linienverlegung in unterschiedlichen Clustern, ist alles andere als alltäglich. Diese war auch vonseiten der Planungskapazitäten und -kompetenzen für den Auftraggeber mehr als herausfordernd. Gemeinsam haben wir erkannt, dass die langfristige Integration eines Ingenieurbüros sowie der Einsatz eines Vermessungsbüros, das sich ausschließlich um die Aufmaße kümmert, dringend erforderlich sind, um Planung und Bauausführung erfolgreich abzuwickeln. Die konkreten Vermessungsdaten wurden auf Tablets gemeinsam vor Ort verfasst und die Geokoordinaten sodann eingemessen. Damit wurde von Beginn an ein verlässlicher digitaler Dokumentationsstandard als entscheidende Grundlage eines soliden und beschleunigten Baufortschritts geschaffen. Zudem wurde für diese Baumaßnahme vom Auftraggeber eigens ein Projekt- und Planungsleiter bestellt, der von der Materialbeschaffung, über den Personaleinsatz, Zeitpläne und die konkrete Taktung des gesamten Baugeschehens alles koordiniert hat. Hier wurde eine elementare Schnittstelle zwischen Ausschreibung, Planung, Bau, Betrieb, Netzmanagement sowie der digitalen Projektdokumentation und aussagekräftigen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung implementiert. Projektkoordinator und das gesamte Projektteam haben im Wochen-Rhythmus Besprechungen durchgeführt, um zu eruieren, was als nächstes nötig und was mit den vorhandenen Kapazitäten auch möglich ist. Einmal im Monat wurde ein Meeting, im kleinen Kreis, auf Managementebene durchgeführt, um Spannungen im Projektteam zu erkennen und zu lösen. Auf diesem Weg konnten Ablaufstörungen frühzeitig erkannt und zusammen Lösungen erarbeitet werden. Dieser intensive und vertrauensvolle Austausch hat dann auch dazu geführt, dass der Bauherr uns sukzessive weitere Aufgaben zugewiesen hat. Wir haben kontinuierlich Zuständigkeiten evaluiert und verändert und stets genau festgelegt, wer sich um was kümmert. Herzstück dieser besonderen Koordinationsleistung war dabei zweifellos nicht zuletzt die digitale Projektdokumentation. Für diese haben wir gemeinsam mit dem Projektkoordinator gezielt Regeln entwickelt. Dies hatte zur Folge, dass auch die Abrechnung der Bauleistungen einem ganz neuen Effizienzstandard folgen konnte. Denn im Rahmen dieser Dokumentation wurden nicht nur die Lage der Leitungen und sämtliche Bauleistungen vom ersten Moment an genau erfasst. Auch Dokumente wie Zeugnisse und genaue Materialspezifikationen können über eine digitale Schnittstelle eingelesen werden. Somit hatten für die Abrechnung und Kontrollen lediglich noch Stichproben durch die Revision zu erfolgen. Eine erhebliche Zeitersparnis für alle Baubeauftragen also, für unseren Bauleiter genauso wie für die Baubeauftragten des Auftraggebers. Das hat immense Kapazitäten freigesetzt, die dann wiederum in eine geordnete Arbeitsvorbereitung fließen konnten.
Ist ein solches Modell Blaupause für technisch, organisatorisch und damit auch wirtschaftlich erfolgreiche Leitungsbauarbeiten?
Hartmut Wegener: Ein klares ja. Und es ist tatsächlich Blaupause für jede Art der Interaktion zwischen Bauunternehmen und Netzbetreibern, unabhängig von ihrer jeweiligen Größe und Struktur. Wenn alle erkannt haben, dass ein offener Informationsaustausch und eine bessere Vernetzung sämtlicher Verantwortungsbereiche zu mehr Effizienz und Qualität in der Bauwirtschaft führen, dann hat unsere Branche viel gewonnen. Es geht um die Definition konkreter Verhaltensregeln und um Team-Bildung, mit dem Ziel Stillstände zu vermeiden und Konflikten präventiv zu begegnen. Also um nichts weniger als um eine neue Baukultur, die wir im Leitungsbau hierzulande mit Leben füllen, aber auch zulassen müssen, indem wir an der ein oder anderen Stelle alte Zöpfe abschneiden. Und lassen Sie mich einen Gedanken in diesem Zusammenhang noch anführen. Nur wenn wir die eingangs beschriebene klassische Frontenbildung aufgeben, wird unsere Branche auch nur annähernd die Schlagzahl abrufen können, die wir bereits jetzt, in Zukunft aber vielleicht noch dringlicher in Planung und Bauausführung benötigen. Denn die nächsten Projekte stehen doch schon vor der Tür. Neben dem Ausbau und Erhalt der bestehenden Infrastrukturen und dem flächendeckenden Ausbau des Breitbandnetzes sollen bis zum Jahr 2030 rund eine Millionen Ladesäulen für E-Mobilität zur Verfügung stehen. Stringente Organisationsabläufe als integraler Bestandteil allen Prozessgeschehens im Leitungsbau können heute schon dazu beitragen, Kapazitäten bei Auftraggebern und Bauunternehmen zu verbessern, um diesen vielen gesellschaftlich definierten Bauanforderungen auch tatsächlich nachzukommen.
Herr Wegener, vielen Dank für das Gespräch!
PROJEKTDATEN:
Auftraggeber: Stadtwerk und Netzgesellschaft in NRW
- Gesamtprojektleitung
Dahmen Rohrleitungsbau GmbH & Co. KG
- Hauptauftragnehmer in einer ARGE für alle Gewerke
Bauleistung:
- Verlegung von 150 KM pro Jahr Kilometer speedpipe Rohrverbände seit 2018
- Einblasen der Glasfaser
- Aufbau und Anschluss der POP(Point of Presence)
- Herstellen der Hausanschlüsse
Initiative „Zukunft Leitungsbau“ – Innovative Partnerschaftsmodelle
Die Initiative „Zukunft Leitungsbau“ – eine Initiative des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW), Bonn, des Rohrleitungsbauverbandes e. V. (rbv), Köln, sowie der Bundesfachabteilung Leitungsbau (BFA LTB) im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB), Berlin, – wurde ins Leben gerufen, um die Funktionsfähigkeit der Gas- und Wassernetze auch in Zukunft sicherzustellen. Der Grundgedanke folgt der Erkenntnis, dass ein gutes Zusammenspiel aller beteiligten Partner im Bausektor eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, um die komplexen Aufgaben des Leitungsbaus gemeinsam zu bewältigen.
Innovative Partnerschaftsmodelle – zusammen an einem Strang ziehen
Je früher eine Zusammenarbeit beginnt, desto effizienter können alle Phasen des Bauprozesses in Bezug auf Qualität, Kosten, Personal und Termine abgewickelt werden. Gerade eine frühzeitige Einbindung der Leitungsbauunternehmen durch den Auftraggeber und deren beauftragte Ingenieurbüros sowie zuverlässige Planungen und Vertragsgestaltungen haben nachvollziehbare Vorteile für beide Seiten:
- Beim Auftragnehmer können Personal- und Maschinenkapazitäten aufgebaut oder vorgehalten werden.
- Auftraggeber und -nehmer gelangen so zu einer identischen Auslegung des Bau-Solls. Missverständnisse, unterschiedliche Interpretationen und Fehlentwicklungen werden auf ein Minimum reduziert.
Schwerwiegende Planungsfehler können frühzeitig erkannt und vermieden werden.